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Wir denken nicht in Disziplinen!

Peter Ippolito im Interview mit der Zeitschrift DETAIL über Interdisziplinarität, Ästhetik und den roten Faden.

Otto Wagner soll gesagt haben, dass jeder Architekt zwei Planungsbüros braucht: eines zum Geldverdienen und ein zweites, um gute Architektur zu machen. Wie ist das bei der Ippolito Fleitz Group?

Natürlich kämpfen auch wir mit der Balance zwischen Anspruch und Budget. Allerdings sind wir nicht mehr so wunderbar naiv, wie wir es vielleicht als junges Büro waren. Heute haben wir ein sehr effizientes Controlling und wissen sehr genau, was uns jede Stunde kostet. Das hindert uns freilich nicht daran, Projekte so zu machen, wie wir sie wirklich haben wollen. Dass wir inzwischen auch international erfolgreich sind und Interiors unterschiedlichster Größe und Budgets realisieren, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir uns ganz bewusst nie auf bestimmte Aufgabengebiete, Branchen oder Projektgrößen spezialisiert haben, und dadurch relativ konjunkturunabhängig sind.

 

Welcher Bürostrukturen bedarf es angesichts dieser breiten Ausrichtung?

Projekte werden wo immer möglich interdisziplinär bearbeitet. Wir beschäftigen Produktdesigner, Grafiker und Materialspezialisten ebenso wie Architekten und Innenarchitekten, die alle zusammen in zwei sehr großen Räumen arbeiten, sodass sie sich gegenseitig »befruchten« können und jeder weiß, was der andere macht. Viele Projekte sind dabei von vornherein interdisziplinär angelegt und werden parallel von Kollegen aus verschiedenen Disziplinen entwickelt.

 

… so wie das Hamburger Restaurant WakuWaku – ein Low-Budget-Projekt, bei dem Sie selbst bei der Entwicklung der Menüs beteiligt waren?

Bei Restaurants werden wir in der Regel sehr intensiv einbezogen, weil diese nur dann wirklich erfolgreich sind, wenn alles zusammenpasst. Wenn auch nicht immer an den wesentlichen Entscheidungen beteiligt, so sind wir doch fast in jedem Bereich zumindest Diskussionspartner. Ein anderes Beispiel sind Messestände, bei denen wir oft auch für die Messegrafik und Messekommunikation beauftragt werden – wie etwa beim Stand von Brunner auf der Mailänder Möbelmesse 2012.

 

Ist die frühe Beteiligung für den spürbaren Unterschied zwischen ganzheitlichen Interiors und bloßer Marketingmaßnahmen verantwortlich?

Das lässt sich nicht generalisieren, weil jeder Auftraggeber anders tickt. Selbst im Wohnbereich gibt es Kunden, die intensiv betreut werden wollen, und mit denen man noch nach Mitternacht telefoniert, während uns andere den Schlüssel geben und erst nach Fertigstellung wieder kommen. In Bezug auf diese Abläufe gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Bei keiner der beiden Varianten ist man zwangsläufig näher am Kunden als beim anderen. Die frühe Einbindung aller Beteiligten ist sicher kein Fehler. Andererseits verweigern wir uns als Büro grundsätzlich jeglicher Form von schematischem Vorgehen.

 

Wir wollen mit Menschen am Tisch sitzen, die wir fühlen und mit denen wir kommunizieren können.

Wie gelangen Sie an Ihre Auftraggeber?

Hin und wieder nehmen wir an Pitches teil. An anonymen Wettbewerben hingegen beteiligen wir uns überhaupt nicht. Wir leben von der Weiterempfehlung unserer Kunden und Partner, und inzwischen auch von der Reputation. In jedem Fall brauchen wir das direkte Gegenüber. Wir wollen mit Menschen am Tisch sitzen, die wir fühlen und mit denen wir kommunizieren können – egal, ob es dabei nun um Vorstände, Behördenvertreter oder Häuslebauer geht.

 

Gibt es auch deshalb keine einheitliche »Bürosprache«?

Wir waren nie an einer Art Signatur interessiert, weil es doch viel spannender ist, eine Aufgabe aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, Projekte also nicht nur aus der Perspektive des Architekten zu sehen, sondern auch aus jener des Grafikers, des Künstlers, des Musikers – je nachdem, was auch immer relevant ist. Das Schöne an unserem Beruf ist ja, dass wir in jeder Woche neue Lebens- oder Geschäftsmodelle kennenlernen. Unsere Kunden sind sehr unterschiedlich. Also sind auch die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es räumliche Vorlieben, die unseren Projekten gemeinsam sind. Beispielsweise setzen wir uns in vielen Projekten intensiv mit der Deckengestaltung auseinander, eine oft vergessene, aber sehr identitätsstarke Oberfläche im Raum.

 

Mies van der Rohe wird folgender Satz zugeschrieben: »Das Schöne ist der Glanz des Wahren«. Welche Rolle spielt Ästhetik für Sie?

Wahrheit und Schönheit sind extrem subjektiv. Für uns viel wichtiger ist der Begriff Relevanz. Projekte, die für unsere Auftraggeber und seine Zielgruppen relevant sind, verfügen über das ganze Potenzial, sich über Trends, Lifestyles und andere kurzlebige Dinge zu erheben. Dennoch sage ich nicht, dass mich Lifestyle nicht interessieren würde. Schließlich sind wir als Planer in der Situation, einerseits Spiegel der Gesellschaft zu sein, und andererseits genau dieses Bild voranzutreiben. Abgesehen davon produzieren wir gerade im kommerziellen selbst Lifestyle-Projekte, bei denen es darum geht, ein möglichst präzises Bild vom Lifestyle einer bestimmten Zielgruppe und einer Marke in Deckung zu bringen. Das heißt aber nicht, dass die Projekte deshalb oberflächlich sind.

 

Ihr Büropartner Gunter Fleitz sprach davon, dass es Ihnen wichtig ist, in Innenräumen dichte, vielschichtige Geschichten zu erzählen, dass der Kunde »kein fertiges, in sich geschlossenes Produkt präsentiert bekommt, sondern eher eine offene Geschichte, in der er sich einrichten kann, die er selbst besetzen kann und die er, gefüllt mit seinen eigenen Themen, selbst fertig erzählen kann.« Warum wurden sinnliche und emotionale Räume in den letzten Jahren immer wichtiger?

Zunächst einmal haben wir längst keine Bedarfsdeckungsprobleme mehr, sondern eher Bedarfsgenerierungsprobleme. Zum anderen weckt die große Geschwindigkeit, der unser alltägliches Leben ausgesetzt ist, große Sehnsüchte nach Geborgenheit, nach Aneignungen, nach Geschichte und Geschichten. Und weil viele Menschen diese Geschichte selbst nicht mehr erleben, können Räume sie ein Stück weit vorleben. Die Fragen, die sich daraus für uns ergeben lauten: Wie gelingt es, dass Nutzer Räume oder Raumfunktionen nicht nur konsumieren, sondern sich den Raum persönlich aneignen und Geschichten damit verknüpfen, die sie gern weitererzählen. Eine solche narrative Qualität schafft nicht nur persönliche Identifikationspunkte, sondern trägt auch dazu bei, Räume wie etwa ein Restaurant oder einen Laden im kommerziellen Sinn weiter zu verbreiten.

 

Narrative Qualität schafft nicht nur persönliche Identifikationspunkte, sondern trägt auch dazu bei, Räume im kommerziellen Sinn weiter zu verbreiten.

Ist es einfacher, solche Geschichten im Interior-Bereich zu erzählen als mit Hochbauprojekten?

Ich weiß nicht, ob es unbedingt einfacher ist. Vielleicht braucht man im Hochbau noch mehr Mut und noch mehr Vertrauen des Auftraggebers. Was aber tatsächlich anders ist: Im Innenraum sind wir grundsätzlich näher am Nutzer. Außerdem können wir erstmal alles denken, was wir für richtig halten, um ein Projekt relevant zu machen. Zunächst einmal sind wir völlig ungebunden, kennen keine Grenzen, probieren alles Mögliche aus, sind getrieben von einer unglaublichen Neugier. Beim Planen von Hochbauten muss dagegen von Anfang an ein größerer Kontext berücksichtigt werden. Planungen für den Interior-Bereich sind aber nicht schlechter oder besser, sondern einfach nur von anderen Parametern geprägt.

 

Auf welche Weise fließen Nachhaltigkeitsaspekte in Ihre Planungen ein?

Nachhaltigkeit ist heute so selbstverständlich wie die Erfüllung von funktionalen Vorraussetzungen. Darüber muss man eigentlich gar nicht viel reden. Allerdings bin ich so offen zu sagen, dass auch wir Projekte haben, die nicht ganz nachhaltig sind – etwa weil es die Planungsprozesse nicht erlauben oder schlicht, weil bei internationalen Projekten Materialien oder Einrichtungen eingeflogen werden müssen. Und: Ich gebe gern zu, dass uns die gute Idee letzten Endes mehr interessiert.

 

Ist es also die Idee, die sich als roter Faden durch alle Projekte der Ippolito Fleitz Group zieht?

So unterschiedlich die Wege dorthin auch sein mögen – letztlich ist für uns tatsächlich eine gute Idee alles entscheidend. Natürlich gibt es am Anfang oft mehrere gute Ideen, die sich dann weiterentwickeln. Am Ende liegt unseren Projekten aber eine klar identifizierbare Idee zugrunde, die das Projekt zu jeder Zeit speist und dann auch die komplette Durcharbeitung bestimmt. Und so wissen wir bis zum letzten Detail sehr genau, warum etwas so und nicht anders ist. Dennoch lassen wir uns grundsätzlich nicht gern einem Label unterordnen. Eine Ausnahme bildet da vielleicht der Begriff Identität. Wenn wir gefragt werden, was wir eigentlich machen, dann trifft es »Identity Architects« eigentlich am besten. Ansonsten haben wir dieses Büro bewusst vielfältig angelegt, sodass wir heute über ein extrem breites Portofolio verfügen. Und das genießen wir.

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