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ThinkingInsights

Ganz entschieden dazwischen!

Das Büro als Möglichkeits­raum

Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie sah es so aus, als ob das Home-Office einen Siegeszug antreten würde. Auch das Umland um die Metropolen schien wieder gefragt. Dort leben, wo Wohnen noch gesund, naturnah und bezahlbar ist, und remote in den Business-Zentren dieser Welt am Puls der Zeit sein – ein schöner Traum, der als eine der Chancen aus der Corona-Pandemie galt. Doch ganz so problemlos ist der Wechsel vom Schreibtisch im Büro an den heimischen Arbeitsplatz dann doch nicht.

Trotz vieler Befürchtungen hat sich gezeigt, dass Arbeiten von zu Hause produktiv sein kann. Wir haben sein Potential erkannt – und seine Grenzen. Bei der Arbeit zwischen Bettkante und Küchentisch, zwischen Homeschooling und Hausarbeit steckt der Widerspruch bereits in der Bezeichnung: Home/Office. Aus einem entsprechend großen Heim mit Arbeitszimmer lässt es sich gut aus der Ferne werkeln. Doch in einer 80-Quadratmeter-Wohnung mit Familie bleibt wenig Platz fürs Luftholen und für Kreativität. Workspace muss also auch für Zuhause neu gedacht werden.

Es geht beim Gestalten der neuen Arbeitswelt also nicht darum, das zu wiederholen, was wir jahrzehntelang gemacht haben. Beim Home-Office lautet einerseits die Fragestellung: Wie flechten wir remote work – wie wir das Home-Office eigentlich besser nennen sollten – in reale Grundrisse ein, und wie können wir auch zu Hause Typologien schaffen, die einen fließenden und doch spürbaren Übergang zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit erlebbar machen? Schließlich ist der Ansatz, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, durchaus valide: kein (Frei-)Zeitverlust durch den Arbeitsweg, kein Arbeiten in Büroabteilen, kein Nach-Hause-Hetzen am Feierabend. Als Bestandteil des neuen Arbeitens wird remote work deshalb von vielen zu Recht geschätzt. Vor allem kleine Wohnungen sind dabei aber Herausforderung und Kunststück zugleich: Wie integriere ich Arbeit und mache sie zugleich im Privaten möglichst unsichtbar.

Der Arbeitsplatz als Identifikationsort

Auf der anderen Seite steht das Büro. Hier organisieren wir heute vor allem Kommunikation statt Tische. Wir organisieren Kultur. Das Büro der Zukunft ist ein Ort, an dem Unternehmenskultur verhandelt wird. In der immer durchlässiger werdenden Arbeitswelt ist die Identität des Unternehmens, die Verortung und Verankerung der Mitarbeiter in einem Central Hub, der die Energie bündelt und als Zentrum der Unternehmenskultur fungiert, immens wichtig. Die Frage muss heißen: Wie schaffe ich es, Menschen zusammenzubringen, die gemeinsam an etwas glauben, an eine Idee und an eine Kultur – kurz, wie schaffe ich einen Rahmen, in dem Innovation und Kreativität stattfinden können? Die gestalterischen Ansätze sind dabei von Auftraggeber zu Auftraggeber unterschiedlich. Andersgeartete Psychologien der Entscheidungsbildung, ambivalente Visionen und Formen der Partizipation münden in unterschiedliche Raumtypologien. Stereotypen sind dabei ebenso wenig an der Tagesordnung wie es diese beim Resultat gibt. Das Büro soll zu einem Ort werden, an dem ich als Mitarbeiter nicht sein muss, sondern gerne sein möchte. Kurz: from facility to identity, vom Arbeitsplatz zum Identifikationsort.

Das Büro von Morgen ist ein Ort, an dem Werte und Sinnhaftigkeit dessen, was dort getan wird, verhandelt werden. Bei Fotoaufnahmen neuer Büroprojekte sieht man selten Arbeitsplätze, sondern meist nur Lounges, Cafeterien, Kommunikationsräume. Das spiegelt eindrücklich wider, wie sich das Bild von dem, was wir uns unter Arbeit vorstellen, verändert hat. Natürlich müssen noch immer erwartbare Prozesse abgehandelt werden. Aber die Kür ist eine andere: mehr Kommunikation, kreative Gespräche, Ideen-Wechselspiele, neue Denkansätze. Möglich wird diese freiere Form der Arbeit durch die Veränderung der Bedingungen, etwa die Miniaturisierung der Werkzeuge oder die in der Digital- und Online-Welt nicht mehr nötige Fixierung auf den Schreibtisch. Nennen wir es: from desk to collaboration.

Das Büro als Möglichkeitsraum

Wobei Kollaboration eben nur ein Aspekt ist. Auch Konzentration, Kommunikation oder Kontemplation gehören in diesen neuen Sinn(es)zusammenhang des Büros von morgen. Als Angebot von Möglichkeiten, die richtige Umgebung zur Tätigkeit zu finden, sind sie Orte mit offenen Nutzungskonzepten für unterschiedliche Büro-Alltagssituationen: stille Arbeit, laute Diskussion, Rückzug oder Austausch, Gruppengespräch versus Fokusarbeit. Jenseits der geplanten Abläufe bieten sie Raum für das Unerwartete und für das Ungeplante. In ihnen wird das entschiedene Dazwischen zum Ort für kreative Reibung und Innovation. So wird das Büro zu einem Ort, an dem ich sein möchte, aber nicht sein muss.

Das Büro der Zukunft ist also ein Möglichkeitsraum, der sich in ständiger Transformation an sich ändernde Bedürfnisse anpasst. Statt eindimensionaler Zuschreibungen ist er eine Einladung, Gebäude und ihre Nutzung immer wieder fortzuschreiben. Sie erlauben eine hybride Nutzungsvielfalt und können sich mit wandelnden Ansprüchen weiterentwickeln. Dieser Wandel muss bei aller Planung immer mitgedacht werden. Er ist permanent – und er beschleunigt sich. Für uns Architekten bedeutet das eine Herausforderung: Wir dürfen Projekte nicht mehr zu einem Ende hin denken: from alpha to beta. Zwar gibt es Faktoren, zu denen sich ein Unternehmen verpflichtet hat, etwa zu einer Immobilie oder eben zu einer Innenarchitektur. Dennoch wird das Büro selbst niemals fertig sein, es wird sich immer und permanent verändern. Auch, weil kaum einer unserer Kunden weiß, wie er in fünf Jahren arbeiten wird: Die Wirtschaft ist im Fluss, Werkzeuge verändern sich, neue Anforderungen entstehen. Es geht aber nicht nur um den Raum, der im Fluss ist, sondern darum, eine Einladung an die Mitarbeiter auszusprechen, Wandel als etwas positives und als einen Teil von persönlichem Wachstum zu erleben. Die Herausforderung besteht darin, systemisch zu arbeiten, ohne ein System sichtbar zu machen: Denn kein Mitarbeiter möchte sich austauschbar fühlen. Es gilt, agil zu sein und gelichzeitig identitätsstiftend zu wirken.

Die Spitze des Eisbergs

Das Büro der Zukunft mit seinen Zwischen-Räumen kann aber immer nur ein Teil eines umfassenden New-Work-Ansatzes sein. Es reicht nicht, ein neues Headquarter mit neuen Lounge-Möbeln einzurichten oder die Sehnsuchtsbilder von alten Backsteinhallen, Werkstätten oder umgenutzten Räumen mit viel Charakter und Geschichte zu reproduzieren. Es geht immer um einen ganzheitlichen Prozess: Identität, Management- und Kommunikationskultur, die dafür benötigten Werkzeuge und Prozesse eines Unternehmens führen in einem alles verbindendem Denkansatz zusammen mit der Gestaltung der Räume zu einer konsistenten und damit glaubwürdigen Haltung zur Arbeit, mit der sich die Mitarbeiter identifizieren können. Stellen wir uns zur Illustration einen Eisberg vor. Der fertig gestaltete Workspace liegt für alle sichtbar über der Wasserlinie. Doch zu „New Work“ gehören genauso Führungs- und Unternehmenskultur, Organisationsentwicklung und die Zukunftsvisionen eines Unternehmens. Alles gleichwertige Bausteine des New Work, die aber weniger sichtbar sind – und sich auch nicht fotografieren lassen. Ohne umfassende Gestaltung der Prozesse, das berühmte Change-Management, bleibt der Raum immer nur eine Ansammlung von Objekten. Es ist für uns als Designer aufregend, sich dieses neuen Gestaltungsfeldes anzunehmen: from functional design to cultural design.

Wie eine Zwiebel: Aneignungsprozesse

Das Büro der Zukunft muss Antworten liefern auf Nutzerbedürfnisse. Mitarbeiter wollen Teil eines sozialen Kontextes sein, wollen sich dem Unternehmen, für das sie arbeiten, zugehörig fühlen. Nennen wir den Weg dorthin: from a place to work to a place of belonging. Wir sehen das Büro als Ort, an dem man die Sinn- und Wertelandschaft eines Unternehmens gemeinsam mit den Kollegen unmittelbar erfahren kann. Ein Ort, der zukünftig sicherlich mehr auf Themen des Gemeinschaftlichen einzahlt als auf Arbeitsformen, die individuell ortsunabhängig erledigt werden können. Andererseits lösen sich auch die Organisationsstrukturen in Unternehmen immer weiter auf. Klassische Abteilungen wandeln sich zu Matrixstrukturen, in denen Mitarbeiter zwischen Polen pendeln: Wenn es das Projekt erfordert, holt man sich Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen dazu – die Grenzen werden durchlässiger, und das muss sich auch im Räumlichen ausdrücken. Es passiert also zweierlei: Sowohl die Arbeitswelten lösen sich auf zwischen Büro und der Möglichkeit, örtlich unabhängig zu Hause, am Flughafen, im Zug oder in Coworking-Spaces zu arbeiten, als auch die Strukturen in den Unternehmen selbst. Das macht es für Mitarbeiter allerdings noch schwerer: Wo finde ich hier meine Identifikation, meine Zugehörigkeit, wenn ich nicht mal mehr einen Schreibtisch mein Eigen nenne?

Dass sich Mitarbeiter einer Unternehmenskultur zugehörig fühlen, ist eine entscheidende Frage in der Gestaltung von Arbeitswelten. Bei dieser Art von Aneignung sprechen wir von einer Art Zwiebelmodell: „Ich gehöre zu dieser Firma, ich gehöre in dieses Gebäude, in dieses Stockwerk, diese Abteilung, dieses Team und das ist mein Arbeitsplatz.“ Jede dieser Ebenen hat einen eigenen Aneignungsmechanismus, die zum einen aus dem Unternehmen heraus beantwortet werden müssen, aus den jeweiligen Strukturen und aus der Führungskultur. Aber die eben auch durch die Architektur unterstützt werden können. Ohne Prozess, bei dem das gesamte Team mitgenommen wird, ergibt sich kein tragfähiges und exzellentes Resultat. Der Raum allein wird dem gewünschten Anspruch nie gerecht werden. Nur mit einer glaubhaften Vernetzung wird das Büro am Ende zum place of belonging. Diese Art von Wertschätzungsprozessen gilt es, für jedes Unternehmen und für jeden Auftraggeber zu isolieren – damit sich am Ende das Büro um den Menschen schmiegt: from table centric to user centric.

Inspirierende Landschaften statt lineare Arbeitsgaleeren

Das Schöne ist, dass wir heute Räume gestalten können, die mit großer Gestaltkraft differenzierend auftreten und gleichzeitig unsichtbar flexibel bleiben, in fließenden, veränderbaren Räumen innerhalb eines starken Rahmens. Wenn wir das alles ernsthaft realisieren wollen, ist auch klar, das Büros andere Architekturen benötigen: Veränderbarkeit, hybride Nutzungskonzepte, inspirierende Landschaften statt lineare Arbeitsgaleeren. Räume können sich permanent entwickeln und sich etwa unterschiedlichen Team-Zusammenschnitten anpassen. Nutzen wir die uns zur Verfügung stehende Systemoffenheit, können wir extrem flexible Arbeitslandschaften schaffen. Immer als integrierter Teil der jeweiligen Unternehmenskultur: Die Typologien sind verwandt, die Übersetzung jedoch ist immer anders. From linear space machines to inspiring working landscapes, from routine to imagination.

Als Gestalter begegnen wir Kunden, die alle anders sind. Aufregend anders. Für sie denken und gestalten wir nicht aus Schubladen, sondern erarbeiten für sie und mit ihnen individuelle Lösungen. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Nutzer mit seinen unterschiedlichen Bedürfnissen.

Die Erkenntnis, dass das Gestalten von Räumen ohne die Gestaltung der Prozesse dahin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum gewünschten Erfolg führt sowie die Vorstellung, dass unsere Arbeit nicht der Endpunkt sondern der Startschuss für Veränderung ist, erweitert die Idee unserer Arbeit fundamental. Wir sollten die Corona-Zeit nicht nur für uns als Branche, sondern für uns als Gesellschaft als Weckruf begreifen. Und nicht nur in der Arbeitswelt aus festgefahrenen Mustern ausbrechen. Sondern jenseits der erwarteten Antworten und vermeintlichen Wahrheiten die Potenziale der Zwischen-Räume entdecken, jener Freiräume, die eine unglaubliche Energie freisetzen können, wenn wir vorhandene Strukturen mit frischem Blick neu verhandeln.

Peter Ippolito

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