Herr Ippolito Sie führen ein multidisziplinäres Architektur- und Designbüro. Welche Rolle spielt der Megatrend Nachhaltigkeit bei Ihren globalen Projekten?
Der Nachhaltigkeitsgedanke ist inzwischen so tief in der Gesellschaft angekommen, dass wir uns nicht mehr fragen, ob wir uns darüber unterhalten, sondern vielmehr, wie tief wir einsteigen. Wie hoch der nachhaltige Anspruch ist und welche spezifischen Aspekte dabei wichtig sind, hängt nicht zuletzt vom Auftraggeber und dessen Zielen ab. Hier gibt es durchaus Unterschiede.
Wo liegen diese Unterschiede genau?
Ein schönes Beispiel ist das Headquarter für Ritter Sport, das wir letztes Jahr fertig gestellt haben. Ritter Sport ist eine Marke, die die Themen gesellschaftliche Verantwortung, Ortsverbundenheit und Innovation traditionell tief in ihrem Markenkern verankert hat. Das Familienunternehmen ist sehr engagiert und treibt großen Aufwand, etwa beim Sourcing nachhaltiger Rohstoffe. Dieser relevante Teil der Markenidee muss sich auch in der gebauten Umgebung des Unternehmens widerspiegeln. Alles andere wäre unglaubwürdig.
Bei Investitionsprojekten kommt ein weiterer Faktor dazu. Dann wird Ökologie nämlich ganz schnell zum knallharten Wirtschaftsfaktor. Inzwischen gibt es sehr wirksame Hebel, die Bauherren quasi dazu zwingen klimafreundlich zu denken, da sie ihre Objekte ohne den nachhaltigen Ansatz gar nicht stemmen könnten. Das betrifft die Finanzierung gleichermaßen wie die Vermarktung. Für einen Neubau ohne Nachhaltigkeitszertifikat finden Sie heute faktisch keine Mieter mehr. Daher haben die Projekte meist sehr hohe Ansprüche. In Deutschland streben viele Bauherrn etwa eine DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) an – am besten in Gold oder Platin. Für unser „Ritter Sport“-Projekt haben wir diese Auszeichnung in Gold erhalten.
Ist das eine eher europäische Entwicklung?
Wir arbeiten weltweit und sehen überall die gleiche Tendenz, auch wenn sie vielleicht nicht in alle Regionen gleich stark ausgeprägt ist. In Europa beschleunigen Regulierungen wie die EU-Taxonomie oder die „CSR Directive“ diesen Prozess spürbar, aber auch in China, wo wir ein eigenes Büro unterhalten, ist das Thema sehr präsent. Nachhaltigkeit muss auch gar keine ideologischen Gründe haben. Es geht um begrenzte Ressourcen, teure Energie und die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Lebensraum. Kein Mensch braucht eine Stadt mit Dauersmog.
Welche konkreten Auswirkung haben die neuen Richtlinien auf die Ausstattung im Objektbereich?
Tatsächlich beeinflussen sie vom ersten Entwurf bis zur Umsetzung sämtliche Prozesse. Wenn Sie etwa in Richtung Kreislaufwirtschaft denken, planen Sie ja nicht einfach ein Objekt, sondern mehr oder weniger einen kompletten Materialspeicher. Ein Teppich etwa liegt dabei bewusst nur auf Zeit, bis er entnommen und seine Rohstoffe zurückgeführt werden. Das bedeutet aber auch, dass ich das Interieur entsprechend flexibel gestalte. Bei Ritter Sport etwa erfüllen wir die „Cradle to Cradle“-Kriterien, so dass sichergestellt ist, dass alle Materialien in den Wertstoffkreislauf nach ihrer Lebensphase zurückgeführt werden können.
Sie sprechen viel von Zertifikaten. Welche Rolle spielen diese für Sie in der Objektausstattung?
Zertifikate werden zum einen bei der Materialwahl immer wichtiger. Denn natürlich gilt der Lieferkettennachweis für uns genauso wie für alle anderen Branchen. Je höher der Verarbeitungsgrad wird, desto vernetzter und damit komplexer wird die Lieferkette. Von einzelnen Unternehmen oder Developern ist das überhaupt nicht leistbar. Hier sind wir gerade auch in der Ausstattung der Objekte auf vertrauenswürdige Systeme angewiesen. Zertifikate und Labels wie im Textilbereich setzen Benchmarks und schaffen, trotz der Vielfalt der Zertifizierer, eine wichtige Vergleichbarkeit. Das erleichtert uns die Arbeit sehr.
Einige Player sehen den „Zertifizierungszwang“ kritisch. Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Thema entwickeln?
Regulierung und Zertifizierung werden sicher noch weiter an Bedeutung gewinnen. Wir haben beispielsweise jetzt den Zuschlag für ein großes Projekt erhalten, gerade weil wir uns als nachhaltig arbeitendes Büro haben zertifizieren lassen. Das mag alles ziemlich aufwendig sein, ist aber auch hilfreich. Denn schlussendlich erleichtern diese Systeme den Innovationsprozess, da sie eine gewisse Struktur vorgeben, an der man sich abarbeiten kann. Bei unserem Zertifizierungsprozess haben wir Bereiche entdeckt, die schon sehr gut abgedeckt waren, aber auch welche, denen wir vorher weniger Beachtung geschenkt und jetzt angepackt haben. Das bedeutet zwar mehr Druck, aber Druck erhöht ja grundsätzlich auch die Innovationskraft. Daher sehe ich in dieser Entwicklung vor allem eine große Chance für alle Player, schlichtweg besser zu werden.
Blick in die Zukunft: Wie entwickelt sich das Thema Nachhaltigkeit im Objektgeschäft weiter?
Themen wie nachhaltige Materialien sind die eine Seite, die für jedermann recht offensichtlich und verständlich ist. Für uns fängt die Fragestellung schon wesentlich früher an: Wie schaffe ich es, Projekte zu gestalten, die in der rasanten Veränderungsgeschwindigkeit unserer Welt wirklich langlebig sind? Faktisch ist es ja so, dass ich nicht wissen kann, wie der Raum, den ich gerade plane, in fünf Jahren genutzt wird. Firmenzentralen oder Arbeitswelten, die nur eine Organisationsform können, sind überhaupt nicht mehr zukunftsfähig. Daher kalkulieren wir heute die Nutzungsoffenheit von vornherein ein und schaffen möglichst starke Gebäude, deren Persönlichkeit den Prozess der Aneignung begünstigt. Denn was hilft es, wenn ich einen zertifiziert nachhaltigen Bau in die Welt stelle, den nach kurzer Zeit keiner mehr braucht.